Eine Geschichte aus dem Leben - 2

 

12 Monate, 12 Kapitel, 12 Zeugen, die jeden Tag das Ideal verwirklichen, das Gott durch Chiara der ganzen Welt gegeben hat. Eine lebendige Geschichte, die sich in vielen Männern und Frauen heute noch fortsetzt.

   

      2 - Die Armen

... "Inzwischen setzte ich meine Freundschaft in Gott mit meinen Gefährtinnen fort. Ich hatte ihnen die ersten Einsichten oder Inspirationen zu diesem Werk in seinen Anfängen nicht verheimlicht. Aber wen finden wir in den ersten Pulsschlägen des Lebens unserer Bewegung um uns herum? Die Mittellosen, die Bedürftigen. Ich erinnere mich nicht genau, was meine Gefährtinnen und mich dazu gebracht hat, mit solchem Eifer auf die Armen unserer Stadt zuzugehen. Vielleicht das Wort Jesu: "Was immer ihr einem von diesen meinen geringsten Brüdern getan habt, das habt ihr mir getan.”(1) Ich kann den langen Korridor meines Hauses nicht vergessen, der voll von allem war, das ihnen nützlich sein konnte: Schachteln mit Konfitüre, Dosen mit Milchpulver, Säcke mit Mehl, Kleidung, Medikamente, Holz.... Alles kam von wer weiss woher. Sicherlich von der Vorsehung Gottes.

Ich erinnere mich, dass wir, da wir alle arbeiteten oder studierten, am frühen Nachmittag mit je zwei grossen, vollen und schweren Koffern die drei ärmsten Quartiere der Stadt besuchten: Laste, Portela, Androne. Da waren die Androne: Wir stiegen Treppen hinauf, die vom Zahn der Zeit  oder von Mäusen angenagt waren, alt und gefährlich, in einer fast völligen Dunkelheit und in einer Trostlosigkeit, die unsere jungen Herzen verletzte. Dann betraten wir einen dunklen Raum und fanden einen Armen oder eine Arme im Bett, alles entbehrend. Aber.... es war Jesus! Wir reinigten den Raum, wir wuschen, wir trösteten, wir versprachen im Namen des allmächtigen Gottes. Einmal  hat Doriana, eine von uns, während der Reinigung, eine Infektion in ihrem Gesicht erwischt. Diese wurde zu einer grossen Wunde. Aber sie freute sich: Sie hatte alles für ihn getan, Jesus.

Wenn immer ein armer in unser Haus kam, wählten wir die schönste Tischdecke, die besten Teller und Besteck. Unterwegs hatte jede von uns einen Notizblock dabei, und jedes Treffen mit einem Armen war ein freudiges Ereignis. Wir wandten uns an ihn mit grosser Liebe, baten um seinen Namen und seine Adresse, damit wir ihm auch später Hilfe bringen konnten. Sicher bestand unser Problem darin, Hilfe für die einzelnen Armen zu bringen; aber dabei lag ihm ein ganz spezifisches Programm zugrunde : Wir wollten unseren Beitrag leisten zur Lösung des sozialen Problems unserer Stadt. Und Gott liess uns nichts anderes sehen, gar nichts; es schien beinahe so, als ob, wenn dies erst einmal getan war, alles vollbracht war. (Fortsetzung folgt)

 

 

Diese Geschichte wurde von Chiara Lubich zu verschiedenen Zeitpunkten selbst erzählt. Die Texte stammen aus dem ersten Kapitel des Buches “Un popolo nato dal Vangelo", E. Fondi - M. Zanzucchi, S. 3-4, Editrice San Paolo.  Historische Hinweise zu den verschiedenen Reden finden Sie auf S. 3.

 

 [1] Cfr. Mt 25, 40.